headerbild
Logo RefBeJuSo

Refbejuso: Wieviel Politik verträgt die reformierte Kirche?

Bei kaum einer anderen Abstimmung haben sich die reformierten Kirchen so weit aus dem Fenster gelehnt wie bei der Konzernverantwortungs-Initiative. Mit Folgen: In Bern heizt die Frage, wie politisch Kirche sein darf, nun sogar den Wahlkampf um die beiden Synodalratssitze an.

Es waren die grossen Abstimmungs-Banner, die bei vielen Gegnern der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) im November das Fass zum Überlaufen brachten. Von den Kirchtürmen herab warben sie dafür, dass Schweizer Unternehmen bei Verstössen im Ausland zur Rechenschaft gezogen werden. Besonders bürgerliche Politiker fanden es stossend, dass die Kirchen so gegen Unternehmen schossen, von denen sie durch die Kirchensteuern direkt profitieren. In mehreren Kantonen reichten sie deshalb Motionen ein, welche die Abschaffung der juristischen Kirchensteuern fordern – insbesondere wegen der Rolle der Kirchen bei der KVI. Auch im aktuellen Wahlkampf um zwei Sitze im Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (RefBeJuSo) ist Politik ein Thema. Für Aufsehen sorgt, dass mit Ursula Marti eine SP-Grossrätin Einsitz im Rat nehmen will. Das rief Synodale wie den Pfarrer Bruno Bader oder Irène Koopmans auf den Plan, die mit einem Schreiben den Gegenkandidaten Christian Cappis lancierten. Cappis hält die Verflechtung von Kirche und Politik denn auch für problematisch. Um seinen Standpunkt darzulegen, holt er weit in der Geschichte aus. Ein Beispiel sei der Berner Kirchenstreit in den Fünfzigerjahren. Damals wehrte sich Karl Barth gegen jede politische Instrumentalisierung des Evangeliums und weigerte sich, in den ideologischen Kampf gegen den Kommunismus eingespannt zu werden. Es sei wichtig, solche historischen Kontexte zu verstehen, ist Cappis überzeugt. «Sie zeigen, dass das Verhältnis von Kirche und Staat schon immer ein schwieriges war. Nicht erst seit der KVI.»
«Parteipolitik gehört nicht in ein Kirchengremium.»

Christian Cappis, Synodepräsident und Synodalratskandidat

Deshalb sei es umso wichtiger, Kirche und Staat auf politischer Ebene nicht zu verflechten. Er meine damit aber nicht, dass die Kirche unpolitisch sein solle. «Im Gegenteil! Aber die Politik muss an der Basis stattfinden, in den Kirchengemeinden, nicht von oben herab.» Nur dann könne man auch wirklich von einer Volkskirche sprechen. Cappis findet es schwierig, wenn in die Kirche Parteipolitik Einzug hält. «Dann haben wir eine Arena-Kirche, wo man sich gegenseitig das Leben schwer macht.» Wie das ausgehe, habe man insbesondere bei der KVI gesehen. «Dass noch heute das Engagement der Kirchen zu Reden gibt, zeigt, wie sehr diese Initiative gespalten hat.» Ihm gehe es übrigens nicht darum, ob Ursula Marti links oder rechts politisiere. Er selber sei zum Beispiel auch für die KVI gewesen. «Ich finde aber, dass Parteipolitik nicht in ein Kirchengremium gehört.»
«Ich kandidiere nicht als Politikerin, sondern als Frau, die sich für die Kirche engagieren will.»

Ursula Marti, SP-Grossrätin und Synodalratskandidatin

Dass nun ausgerechnet ihre Politkarriere für so grosses Aufsehen sorgt, kann Kandidatin Marti nicht verstehen. «Ich kandidiere nicht als Politikerin, sondern als Frau, die sich für die Kirche engagieren will und dafür verschiedene Kompetenzen mitbringt», sagt sie gegenüber ref.ch. Sollte sie in den Synodalrat gewählt werden, sei sie klar der Sache verpflichtet und nicht einer Ideologie. Und sie hält fest, dass ihr Amt als Grossrätin der Kirche auch Vorteile bringen könnte. «Ich bin gut vernetzt und kenne die politischen Abläufe. Davon kann die Kirche profitieren.» Marti ist überzeugt, dass sich die Kirche in politische Debatten einmischen soll. «Wenn es um den Einsatz für die Schwachen geht und es aus theologischer Sicht begründet ist, dann soll sie sich äussern.» Das habe auch bei der KVI gegolten. «Dort ging es um die Bewahrung der Schöpfung, um Gerechtigkeit und Frieden. Klar, dass sich die Kirche hier positionieren soll», sagt Marti. Ihr sei ebenfalls wichtig, dass dabei nicht von oben herab politisiert wird, sondern dass das Engagement von der Basis aus passiert.

Kirchenleitung bittet Politik an runden Tisch

Den Wahlkampf will man ganz oben bei den Reformierten Kirchen-Bern-Jura-Solothurn nicht kommentieren. Das Thema Kirche und Politik soll nun aber angegangen werden: Wie Synodalratspräsidentin Judith Pörksen Roder gegenüber ref.ch bestätigt, hat die Kirche Politikerinnen aus allen Fraktionen des Grossen Rates für August zu einem runden Tisch eingeladen. «Wir wollen zuhören und uns darüber austauschen, wie wir die gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl wahrnehmen», sagt Pörksen. Wichtig sei ihr, dass dabei ein konstruktiver Dialog entsteht. Zentral sei in diesem Zusammenhang auch der Austausch in den Präsidienkonferenzen. Die Kirchen könnten in künftigen politischen Auseinandersetzungen wertvolle Dialogplattformen bieten, ist Pörksen überzeugt. «Wir sind lokal überall verankert, wir können die Menschen in den Gemeinden zusammenführen», sagt sie. Soll sich die Kirche also gar nicht mehr in die Politik einmischen und nur noch eine Vermittlerin sein? «Nein», sagt Pörksen. «Die Frage ist nicht ob, sondern wie sich die Kirche engagiert.» Gerade im Zuge der KVI seien kirchliche Aktionen mitunter auch als provokativ erlebt worden. So habe ein SVP-Politiker davon berichtet, dass er an einem Podium ausgebuht worden sei. «Ein solcher Vorgang wäre sicher nicht im Sinne der kirchlichen Botschaft.» Generell strebe man nun einen engeren Austausch mit der Politik an. «Wir wollen nach der KVI-Abstimmung den Puls bei der Politik fühlen.» Ob und wie die reformierten Kirchen in Zukunft politisch Stellung beziehen werden, wird sich wohl schon bald zeigen. Denn mit den Abstimmungen zur «Ehe für alle», zum CO2-Gesetz sowie zu den Agrarinitiativen stehen gleich mehrere Vorlagen an, die sowohl gesellschaftspolitischen wie auch umweltpolitischen Zündstoff bergen.

Quelle: www.ref.ch, 18.05.2021, Andreas Bättig