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Schweiz: Verfolgung von Fahrenden als Verbrechen anerkannt

Der Bundesrat hat die Verfolgung von Sinti und Jenischen im 20. Jahrhundert in der Schweiz als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Rund 2000 Kinder von Fahrenden wurden ihren Familien entrissen.

Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider sprach vor den Medien in Bern von einem dunklen Kapitel. Das «Hilfswerk Kinder der Landstrasse» der Stiftung Pro Juventute holte zwischen 1926 und 1973 rund 600 Kinder von Jenischen aus ihren Familien und brachte sie zwangsweise in Heimen oder Pflegefamilien unter. Es muss von gegen 2000 Fremdplatzierungen ausgegangen werden. «Der Bundesrat bedauert diese systematische Verfolgung zutiefst», sagte Baume-Schneider. Ohne Hilfe von Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden wäre die Verfolgung nicht möglich gewesen. «Da war der Wille, eine Lebensweise systematisch zu zerstören.»

Gemäss Gutachten kein Genozid

«Die Verbindungen der Kinder zu ihren Familien wurden brutal abgerissen», sagte Baume-Schneider. Der Bund und die Stiftung Pro Juventute waren damals personell eng miteinander verflochten gewesen. Doch auch Behörden und kirchliche Hilfswerke waren an den Kindeswegnahmen beteiligt, und betroffen waren auch Sinti. Der Bundesrat anerkennt damit die systematische Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Genozid liegt aber nicht vor. Zu diesem Schluss kam ein Rechtsgutachten, das der Bundesrat auf Druck von jenischen Organisationen in Auftrag gegeben hatte. Der Historiker Thomas Huonker kritisierte das im SRF und sprach von «Beschönigungen» im Gutachten. Er hätte es passend gefunden, wenn dieses «klar und deutlich gesagt hätte, dass Tatbestände des Genozids vorliegen». Da Verbrechen gegen die Menschlichkeit unverjährbar sind, hofft Huonker aber, dass der bisherigen juristischen Straflosigkeit ein Ende gesetzt werden kann.

Genugtuung bei Betroffenen-Vertretern

Positiv äusserte sich Isabella Huser, Jenische, Schriftstellerin und Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, zum Schritt des Bundesrats. Dieser sei wunderbar und öffne lange verschlossene Türen. Die Erklärung sei das Eingeständnis, dass eine Schweizer Volksgruppe systematisch und rassistisch motiviert verfolgt wurde – mit dem Ziel der Auslöschung dieser Gruppe. Den Jenischen gehe es um eine adäquate Anerkennung ihrer Geschichte und die Auseinandersetzung mit diesem Stück der Schweizer Geschichte. Uschi Waser, Präsidentin der Organisation Naschet Jenische drückte ebenfalls ihre Genugtuung aus. Am runden Tisch für die Opfer des fürsorgerischen Freiheitsentzugs habe man das Wort «Verbrechen» noch nicht in den Mund nehmen dürfen. Mit der Anerkennung des schwerwiegenden Verbrechens an der jenischen Bevölkerung sei dies nun anders.

Dunkles Kapitel für Pro Juventute

Pro Juventute schrieb, das «Hilfswerk Kinder der Landstrasse» bleibe ein dunkles Kapitel für die Organisation und die Schweiz. Die Kindswegnahmen über Generationen hinweg hätten tiefes Leid verursacht. Man anerkenne, dass die Kindswegnahmen auf diskriminierenden Ansichten beruhten. «Für das Leid, das Pro Juventute verursacht hat und das immer noch nachwirkt, bitten wir die Betroffenen und ihre Familien an diesem heutigen Tag erneut um Entschuldigung», hiess es weiter.

Quelle: www.ref.ch, 21. Februar 2025